Im Anschluss an die GR®70 Stevenson Weg von Chaudeyrac nach Notre Dame des Neiges via Cheylard-l'Eveque, Les Pradels, l'Auradou, Luc und Laveyrune im Allier-Tal zwischen Ardeche und Lozere. |
"Ich reise um des Reisens willen. Worauf es ankommt, ist in Bewegung zu sein; die Nöte und Haken unserer Existenz unmittelbar zu spüren; aus dem Federbett der Zivilisation zu steigen und zu entdecken, dass die Erde unter den Füßen aus Granit bestebt und mit schneidenden Kieseln übersäht ist." (Stevenson)
Pünktlich um sechs wurde ich gleichzeitig von mehreren Hähnen mit einem äußerst disharmonischen Konzert geweckt. Nach dem mageren Frühstück im Hotel, das direkt an der nach Langogne führenden Nationalstraße liegt verließ ich zeitig das Dörfchen Chaudeyrac, denn heute erwartete mich ein langer, beschwerlicher Weg. Vorbei an der Kirche, die, mit drei Glockentürmen, der mittlere diesmal mit einer St. Martin-Statue verschen, am höchsten Punkt des Dorfes steht, fand ich bald einen hölzernen Wegweiser, in den. neben einem kleinen Esel, auch Cheylard und GR®70 geschnitzt war. Ich war also richtig.
Bis nach Cheylard-l'Eveque, wo ich wieder auf den Chemin de Stevenson treffen wollte, waren etwa fünf Kilometer zu laufen. Bis dort hin bekam ich kein Lebewesen, außer ein paar Schmetterlingen und fröhlich zwitschernden Vögeln, zu Gesicht. Nur ein kunstvoll verziertes schmiedeeisernes Kreuz. das plötzlich, platziert auf einem steinernen Sockel an einer Weggabelung auftauchte, sorgte kurz für etwas Abwechslung. Übrigens, dieses Buch wäre etliche Seiten dicker geworden, wenn ich all die vielen Wegkreuze und Kirchen, an denen ich auf dieser Wanderung vorbeigekommen bin, erwähnt hätte.
Der Weg war eben und sehr angenehm zu gehen. Um meinen rechten Stockführerarm nicht einseitig zu belasten, zählte ich im Schrittrhythmus bis zwanzig, wechselte dann den Stock in die linke Hand und begann mit der Zählerei wieder von vorne. Zwangsläufig passte sich auch mein Atem der Bewegungsabfolge an. Zunächst musste ich mich konzentrieren, um nicht aus dem Schritt zu kommen, aber dann lief es auf einmal wie von selbst. Ich marschierte locker drauflos und dachte kurz, mit zwei Stöcken wäre ich jetzt auch ein "Nordic Walker". Oh Gott! So verstrich die Zeit wie im Flug. Die Methode werde ich mir merken.
Das Erste, was ich von oben her sah, war eine kleine Kapelle, als ich ins Tal von Cheylard-l'Evêque hinabwanderte. Da nur ein kleines Stück abseits des Weges, beschloss ich den Umweg in Kauf zu nehmen, um die Notre Dame, mit der sich auch hier die Kapelle krönend schmückte, nicht zu verärgern. Stevenson war ich in diesem Fall etwas voraus, denn er kam aus einer anderen Richtung ins Dorf und sah sie nur von unten, was ihm wohl genügte.
"Ein paar Dorfenden, ohne eine richtige Straße, eher eine Folge offener Plätzen auf denen Stapel von Holzscheiten und Reisig lagen, ein paar windschiefe Kreuze, die Kapelle, Notre-Dame-de-toutes-les-Grâces ohen auf einem kleinen Hügel; und all dies an einem rauschenden Gebirusbach im Winkel eines nackten Talgrundes." (Stevenson)
Als ich vor der Kapelle stand und demütig hochblickte, schaute die Notre-Dame-de-toutes-les-Grâces mit aller Milde auf mich herab. Der kleine Abstecher hatte sich gelohnt. denn von hier aus bot sich mir eine wundervolle Aussicht über das Dorf. Stevensons Beschreibung gibt es nichts hinzuzufügen. Viel konnte sich dort seit seinem Besuch nicht verändert haben. Ins Dorf gelangte ich über den recht steilen, serpentinenartig angelegten Kreuzweg. Die vierzehn Tafeln. die den Leidensweg Jesu symbolisieren sollen, waren nach jeder Biegung in vergitterten steinernen Nischen angebracht. Während ich freudig den Weg abwärtsging. stellte ich mir die Dorfbewohner in einer Prozession vor, die, alljährlich zu Ostern unter Bittgesang hinter dem Pfarrer herlaufend, den Weg umgekehrt bewältigen muss, um die Gnaden der Madonna zu empfangen.
Als ich auf den kleinen Dorfplatz kam, sah ich zunächst in dessen Mitte ein schmiedeeisernes Kreuz auf einem steinernen Sockel, das eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem an der Weggabelung aufwies. Wahrscheinlich war hier derselbe Kunstschmied am Werke gewesen. Auf der einen Seite des Platzes steht die Kirche und gegenüber befindet sich die sympathisch aussehende Auberge, vor der einige Autos der Oberklasse parkten, die irgendwie nicht so recht in das Flair dieses einsamen frommen Dörfchens passten. Ruhe suchende Touristen dachte ich, die dafür gesorgt hatten, dass für mich kein Zimmer mehr frei war. Das war's auch schon. Am Ortsausgang lehnte ich mich eine Weile über die steinerne Brüstung der schmalen Brücke und beobachtete den kristallklaren Bach, der, kleine grüne Steininseln umspülend, leise flüsternd dahinfloss, um letztendlich in Langogne in den Allier zu münden. Ein letzter Blick auf den Hügel, die Kapelle und die Madonna. Der Weg war noch weit.
Talaufwärts, talabwärts, talaufwärts. Die rot-weiße Markierung führte mich durch dunkle Wälder und über grüne Wiesen auf eine Höhe von 1170 Meter zu einer Häuseransammlung mit dem Namen Les Pradels. Keine Menschenseele war zu sehen, obwohl Stall und Haustüren zum Teil offenstanden. Nicht einmal ein bellender Hund kam mir entgegengerannt. Nur ein paar Hühner flüchteten gackernd, als ich über die verdreckte Straße kam. Kein Brunnen, keine Bank im Schatten eines Baumes, kein guter Ort für die Mittagsrast. Also verdrückte ich mich wieder, folgte dem Wanderweg durch ein Waldgebiet, bis ich zu einem kleinen See kam, in dem sich die Kiefern spiegelten. Hier gab es sogar Bänke mit Tischen. Ein idyllisches Plätzchen für Erholungssuchende und für mich zum Rasten.Ich verspeiste ein trockenes Sandwich, das mir vom Hotel eingepackt worden war, freute mich auf Modestine und sie sich auf mich, sang ein paar schöne Lieder mit ihr und ließ noch ein Weilchen meine Seele baumeln. Zeit, um sich ein paar Gedanken über das Wandern zu machen.
Die ständige Wiederholung von Wegworten ist eine Technik, die Einfluss auf den Geist des Wanderers nehmen soll. In den Religionen tief verwurzelt, verwendeten schon die Wandermönche des Mittelalters diese Technik. Aber auch einige der heutigen Pilger. die sich zum Beispiel auf dem Weg nach Santiago de Compostela befinden. üben sie aus. Ich zitiere den Mönch Amsel Grün aus seinem Buch: "Auf dem Wege".
Wenn wir mit den Gebworten aus den Psalmen wandern, werden wir erst den Sinn und die Erfahrung dieser Worte erfassen. Wer zwei Stunden mit dem Wort geht: Wir ziehen zu dem Hause des Herrn oder Wobin könnte ich geben vor deinem Geiste oder Mit dir erstürme ich Wälle, mit meinem Gott übersprince ich Mauern oder Dein Wort ist meinem Fuß eine Leuchte, der kann erfahren, was der Beter damals erfahren bat. All diese Worte sind aus der Erfahrung heraus geschrieben und wollen uns Erfahrung vermitteln. Doch an die Erfabrung kommen wir erst heran, wenn wir das nachvollziehen, wodurch die Beter zu ihrer Erfahrung gekommen sind: durch das Gehen und Wandern". (aus: Auf dem Wege Vier-Türme-Verlag)
Nun, da ich kein religiöser Mensch bin, liegt es mir auch fern, mit Gehwörtern aus den Psalmen zu wandern. Aber mit dem Gedanken. die Technik zu nutzen, konnte ich mich durchaus anfreunden und dachte mir deshalb meine eigene Methode aus. Ein einfaches Beispiel: Als ich am nächsten Tag missmutig durch strömenden Regen wandern musste, pfiff ich einfach die Melodie: "Singing in the Rain" aus dem gleichnamigen Film des US-amerikanisches Film-Musical und stellte mir dabei vor, wie Gene Kelly, der singende Schauspieler, mit seinem Regenschirm in der Hand über Straße und Bürgersteig tanzte. Sogleich erhellte sich mein Gemüt. Ich pfiff und sang die Melodie mal laut, mal leise, mal in Gedanken, so lange, bis sich der düstere Himmel schließlich wieder aufklärte.
Etwa zweihundert Höhenmeter Abstieg lagen vor mir, als ich mich am frühen Nachmittag aufmachte, um über einen recht steilen Weg ins Tal des Allier zu gelangen.
"Die Farbe war durchweg schwarz oder aschfahl und konzentrierte sich in den Ruinen der Burg von Luc, die zu meinen Füßen schamlos aufgerichlet stand und auf einer Zinne eine mächtige weiße Madonnenstatue trug, die, wie ich mit Interesse vernahm, fünfzig Quintals wag." (Stevenson)
Zwar nicht schwarz oder aschfahl, sondern teilrestauriert in neuem Glanz, lag das Chateau de Luc nun zu meinen Füßen. Ich fragte mich, was eine tonnenschwere Madonnenstatue, statt auf einem Kirchturm, neben einer Fahnenstange auf dem Turm einer Burgruine verloren hat. Wie dem auch sei, die Bewohner von Luc werden ihre Gründe gehabt haben. Dann die Überraschung. Ich sah den dritten Wanderer auf dieser Tour, den mit schwerem Rucksack bepackt, in Richtung Luc unterwegs war. Ein seltenes Erlebnis. Ich hoffte insgeheim, ihn irgendwann einzuholen, was mir später auch gelang.
Es war ein heißer Tag. Ich kürzte meine Wanderhose um zweidrittel ihrer Länge, was bei einer modernen, wie der meinen, in Sekunden problemlos möglich war. Mein neues Aussehen muss man sich nun von oben nach unten gesehen wie folgt vorstellen: Dunkelgrüner Hut, lange silbergraue Haare, Brille, zotteliger Ziegenbart im mittlerweile gebräunten Gesicht, rot kariertes Hemd. weinroter Rucksack, auf den Modestine geschnallt ist, geschützt durch eine grellrote Plane. Dann der Hüftgurt unterhalb einer kleinen Wölbung bestückt mit Fotoapparat, GPS-Gerät und Wanderkarte. Aus der schwarzen kurzen Hose münden zwei weiße, kräftige Wanderbeine zuerst in blauen Socken und schließlich in braunen Wanderschuhen, die über die Straße stampfend in Luc einmarschieren und das im Gleichschritt mit einem ungeliebten Wanderstock.
Luc ist ein trostloses, verlassen wirkendes Nest, etwas oberhalb der Landstraße, der Cevennenbahn und des Allier gelegen. Rechts und links der Straße stehen graue Häuser mit verschlossenen Läden, deren teilweise durch Farnkraut verwilderte Treppenaufgänge die Rückeroberung der Natur ankündigen. Bald danach kam ich an einer sehr kleinen Kirche vorbei. mit Glockentürmen, die über eine seitliche Steintreppe erreichbar sind. Die mächtige Madonnenstatue der Bure auf ihr platziert, wäre genauso schwer vorstellbar. wie Goliath auf dem Rücken von David.
In unmittelbarer Nähe ein mir inzwischen mit bekanntes schmiedeeisernes Wegkreuz, ein kleines Kriegerdenkmal und ein mit Blumen geschmückter Brunnen, die den bescheidenen Dorfkern prägen. Am Ortsausgang dagegen stand ein recht neu aussehendes Denkmal. Auf einem, in Form einer großen Kirchenelocke gemauertem Sockel. steht ein hölzernes Christuskreuz mit drei geschnitzten Figuren. die Mutter Maria und zwei der Getreuen von Jesus darstellen. Eine fromme Dorfgemeinschaft dachte ich, als ich auf Luc und die Burg mit ihrer weithin sichtbaren weißen Madonnenstatue zurückblickte.
Zwei Kilometer monotonen Marschierens im Flusstal des Allier entlang der Landstraße und der Eisenbahnschienen, brachten mich schließlich nach Pranlac. Mit dem Überaueren des Allier der sich mir hier als kleiner seichter Wildbach präsentierte, verließ ich das Gevaudan und gelangte in die Landschaft Vivarais. Hier traf ich wieder auf den Wanderer, der sich unter einem schattenspendenden Baum ausruhte. Ein netter Kerl meines Alters, der, solo wie ich, schon seit Tagen auf dem Wanderweg GR®7 unterwegs war. Wir sprachen über das Wetter, das Wandern und die Landschaft, und dann wollte er wissen, wie ich heiße. »Line«, sagte ich, neoneme Lino Ventura. « Schlagfertig antwortete er: »Jean-Paul, comme Jean-Paul Belmondo.« Wir lachten. Bevor sich unsere 'Wege trennten, fotografierten wir uns noch gegenseitig, tauschten dann unsere Foto-apparate, um das Spiel noch einmal zu wiederholen, damit auch endlich jeder, ohne mit dem Selbstauslöser herumhantieren zu müssen, ein Foto von sich selbst bekam.
Obwohl ich schon recht müde und meinem Etappenziel sehr nahe war, entschied ich mich, den etwa acht Kilometer langen Umweg zur Abtei Notre-Dame-des-Neiges, einem Zisterzienserkloster der Tragpisten, (die Tragmisten sind ein Mönchsorden) zu nehmen. Den Ort, in dem Stevenson seine Begegnung mit den Mönchen eindrucksvoll schilderte, wollte ich einfach nicht ausklammern. Diese Entscheidung musste ich allerdings mit viel Schweiß bezahlen.
Wandern macht fröhlich und frei, wählte ich als Wegworte und begann eine lange, steile und mühselige Aufwärtswanderung, die mich von 1000 auf 1245 Meter zum Sommet de la Feigere führte. Unterwegs musste ich dreimal ablegen, um kleine Quälende Steinchen aus meinen Schuhen zu entfernen. Um das zu verhindern, entschloss ich mich, meine Hose wieder zu verlängern. Über meinen Knien deutete sich eh bereits ein leichter Sonnenbrand an.
Oben angekommen begrüßte mich leider nur ein langweiliger stählerner Sendemast. Auf die Frage, ob die Wegworte etwas gebracht haben? Nun, ja! Eine gute Aussicht, auf die andere Seite des Tales. zu den grünen Hügeln des Gévaudan, von wo ich gerade herkam. Ich saugte noch einmal an meinem Schnuller, der mir durch sein Röcheln zu verstehen gab, dass der Trinkbeutel bald leer werden würde, und ging weiter.
Auf einer Höhe von 1080 Metern, umgeben von Wiesen und Äckern, erhebt sich Notre-Dame-des-Neiges in einem weiten Bachtal mit Kloster, Kirche, Kapelle und einem großen Gebäudekomplex, in dem sich unter anderem auch eine Pension befindet. Etwa fünfzig Mönche verdienen sich hier ihren Lebensunterhalt mit Landwirtschaft und Weinproduktion. Weltoffen werden in einer Boutique Souvenirs und Klosterprodukte kommerziell vermarktet und eine Art Biergarten im Hof lockt die zahlreichen Touristen zum Verweilen. Mit Rucksack & Gitarre: Auf dem Chemin de R. L. Stevenson durch die Cevennen Par Lino Battiston. BoD – Books on Deman
Das ehemalige Sommerferienhotel der Zwanziger Jahre mit am Fluss Allier gelegenen Park trägt den hübschen Namen Gasthof L'Etoile und dient heute als gemütliche Herberge. Es befindet sich in La Bastide-Puylaurent inmitten der für Südfrankreich typischen Berge; zwischen der Regionen Lozere, Ardeche und den Cevennen. Auch die Fernwanderwege GR®7, GR®70 Stevensonweg, GR®72, GR®700 Regordaneweg (St Gilles), Cevenol, Montagne Ardechoise, Margeride und der GR®470 Quellen und Schluchten von Allier. Ideal für einen entspannten Urlaub.
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